Integrale Arbeit mit Asylsuchenden

 



THEORIE UND ERFAHRUNGEN
EIN BERICHT VON CÉCILE CASSINI, KAISERAUGST


EINLEITUNG


Inspiriert durch den Bericht von Leida Schuringa Synnervate, Center for Human Emergence, Holland, über Integrale Arbeit mit Asylsuchenden habe ich in meiner Wohngemeinde Kaiseraugst ein ähnliches Projekt ins Leben gerufen.

Im Oktober 2015 kontaktierte ich unsere Gemeindepräsidentin Sibylle Lüthi ein erstes Mal und fragte sie, wie denn die Asylsuchenden in unserer Gemeinde leben? Im Anschluss daran, wandte ich mich an die Pfarreileiter der reformierten und der römisch-katholischen Kirche. Es wurde für uns eine Führung durch das Asylheim organisiert, bei der wir uns ein erstes Bild vom Alltag der Asylsuchenden in Kaiseraugst machen konnten.

In den vergangen Jahren ist dank der schönen Zusammenarbeit mit den Kirchen (und den von ihnen gratis zur Verfügung gestellten Räumen), der Gemeinde und der Betreuungsfirma, sowie der Mithilfe von vielen Freiwilligen und Interessierten das nachfolgend Dokumentierte zusammengekommen.

Im September 2017 gründeten wir den Verein “Freiwilligenarbeit Asyl Kaiseraugst”. Die beiden Pfarreileiter Andreas Fischer und Stephan Kochinky haben sich als Vorstandsmitglieder zur Verfügung gestellt und die Gemeindepräsidentin engagiert sich als Revisorin. Zurzeit sind 34 Personen Mitglieder des Vereins. Ihr Engagement zählt als Mitgliederbeitrag. Ich selbst habe das Präsidium und die Koordination des Vereins übernommen.

Dank Stephan Kochinky haben wir auch eine Webseite: www.asyland.ch.



«Durch die Arbeit mit den Asylsuchenden habe ich viel Herzlichkeit von Menschen aus aller Welt erfahren und viele Menschen aus dem ganzen Dorf sind mir näher gekommen.»






THEORIE

«Es herrscht Krieg an den südlichen und östlichen Grenzen unseres Wohlstandsghettos, und jeder einzelne Flüchtling ist dessen Bote: Sie sind der Einbruch der Wirklichkeit in unser Bewusstsein.»

NAVID KERMANI
TRÄGER DES FRIEDENSPREISES 2015 DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS






WIE KÖNNEN WIR MIT ASYLSUCHENDEN UMGEHEN?



  1. Das Bewusstsein, dass wir Menschen in einer grossen Einheit verbunden sind, pflegen.

    Die Nöte der Asylsuchenden ebenso ernst nehmen wie die Ängste der Einheimischen.

  2. Kein naiver Humanismus – weniger tun, dafür beständig dranbleiben.

    Es ist wichtig, mit Zeit und Geldhilfe zurückhaltend zu sein, damit die Unterstützung längerfristig möglich wird. Kulturelle Unterschiede sind nicht zu unterschätzen, sie können uns an die Grenzen unserer Geduld bringen. Deshalb ist der sorgfältige Umgang mit unseren eigenen Ressourcen sehr wichtig.

  3. Bestmögliche Information über alles, was im Umfeld schon aufgegleist ist.

    Sitzungen mit der Gemeinde – siehe Punkt 4.

  4. Sinnvolle Zusammenarbeit mit erfahrenen, lokalen, kantonalen, nationalen und internationalen Hilfsorganisationen prüfen.Seit über einem Jahr arbeitet die Freiwilligenarbeit Asyl Kaiseraugst mit dem Netzwerk Asyl Aarau http://www.netzwerk-asyl.ch/, sowie mit www.mitdabeifricktal.ch zusammen.




DIE ARBEIT MIT GEFLÜCHTETEN IN FÜNF SCHRITTEN



  1. Praktische, schnelle Hilfe ermöglichen

    Geflüchtete sind komplett entkräftet und benötigen: Schutz, Essen, Kleider, medizinische und psychologische Hilfe (Trauma-Verarbeitung). Schnelle Verfahren helfen beim Ankommen und Überleben.

  2. Sicherheit durch Zugehörigkeit ermöglichen

    Der Kontakt mit Menschen aus dem gleichen Herkunftsland und ihrem Umfeld gibt Sicherheit. Kontakt herstellen mit Menschen, die schon länger hier sind und die gleiche Sprache sprechen. Ein solches Netzwerk gibt ein Gefühl von Sicherheit.

  3. In die eigene Kraft kommen durch Deutschstunden und Arbeit

    Trotz Flucht und Ungewissheit haben viele Asylsuchende Energie und Engagement. Dieses Potential sollte genutzt werden. Sprachunterricht ist der Schlüssel zur Integration. Freiwillige Arbeit oder baldmöglichst auch bezahlte Arbeit verhilft zu Selbstwert sowie finanzieller und sozialer Selbständigkeit.

  4. Begegnung schafft Vertrauen...

    In eine neue Gesellschaft hinein zu wachsen, braucht Zeit und Kraft. Die Ambivalenzen dieses Prozesses zu kennen und zu verstehen, gibt den Helfenden Kompetenz. Eine sinnvolle Vernetzung hilft weiter, und Partnerschaften unterstützen den Zugang zur neuen Kultur. Vereine können zur Integration beitragen. So können die Geflüchteten formelle und informelle Gesetze unseres Landes kennenlernen und bei Sport und Kunst die neue Kultur erfahren.

  5. Fünfter Schritt – Selbständigkeit

    Nun sind die Asylsuchenden fähig, sich eine Existenz aufzubauen, selbständig zu wohnen und einer Arbeit nachzugehen. Dafür gilt es, die Selbständigkeit zu fördern und Offenheit am Wohnsitz und am Arbeitsplatz zu ermöglichen.






IN DIE GESELLSCHAFT HINEIN ZU WACHSEN VERLÄUFT IN PHASEN



  1. Euphorie: Freude über das Neue herrscht vor, Reaktionen auf das Neue sind überschwänglich, weil nur das (positiv) Erwartete wahrgenommen wird.

  2. Missverständnisse: Ungewollte Verstösse gegen Regeln der Aufnahmegesellschaft und Schuldzuweisung an sich selber, Einsamkeit, Angst und Sehnsucht.

  3. Kollisionen: Schuldzuweisungen tendenziell an andere, Betonung der Werte der eigenen Kultur, Resignation, Depression sowie psychische und körperliche Belastungen.

  4. Unterschiede werden akzeptiert: Widersprüche wurden ausgehalten. Eigenbestimmte Balance bei Wertekonflikten zwischen der neuen und der Herkunftskultur.

  5. Akkulturation als gelungenes Hineinwachsen in die neue Kultur und Übernahme von Werten und Regeln. 
    Integration braucht Zeit und Kraft!




GANZHEITLICH INTEGRIEREN – FREIWILLIGENARBEIT ZUSAMMENFASSUNG



  • Bescheidenheit beim Helfen bringt Konstanz.

  • Notwendige Information über bis jetzt Geschaffenes finden.

  • Vernetzung mit positiven Autoritäten, Vereinen und Netzwerk Asyl.

  • Deutschstunden sind die Brücke.

  • Begegnungen schaffen Vertrauen – die Nöte der Geflüchteten ebenso ernst nehmen wie die Ängste der Einheimischen – nicht missionieren.

  • Die positive und selbstorganisierende Kraft der Helfenden nutzen.

  • Alle durch genügend Austausch stützen.

  • Sinnvoll begleiten für Arbeit und Wohnung – fördern und fordern.

  • Multikultureller Austausch ist herausfordernd für alle Seiten –Gelassenheit üben.



Freiwilligenarbeit Asyl Kaiseraugst

Cécile Cassini / Koordination
Ziegelhofweg 7, 4303 Kaiseraugst
Telefon 061 331 49 54, Mobile 079 562 63 57

asyland.ch

ccassini@bluewin.ch

 
 
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