Der Weg des Erkennens. Zur Seele Finden

 

Das Leben ist ein Ringen mit sich selbst. Es ist der Kampf zwischen der Macht und der Ohnmacht. Der Sieger ist die Ohnmacht, die Seele, das Empfangen, das Erkennen.

Stiftung für integrale Friedensförderung
Autor: Jürg Theiler
 

Aus der Tiefe deiner Seele spricht das Leben zu dir

 

Es ist geistig. Es ist von Anfang an gedacht. Es ist psyche, pneuma, anemos, logos, thea/theos: Das was sich darstellt. Es sind unterschiedliche Begriffe für denselben Inhalt. Er will von jedem Menschen erkannt und erfüllt werden. Drei paradoxe Erkenntnisse gehen der Erfüllung voraus. Es sind die Leitmotive der drei Bücher der Reihe Führung durch die Seele:

  1. Die Ereignisse sind im Innern (Julien Green).

  2. Ihre Seele führt Sie, aber nicht dorthin, wohin Sie wollen. Sie wollen nach oben, Ihre Seele führt Sie nach unten. Sie wollen nach außen, Ihre Seele führt Sie nach innen. Ihre Seele führt Sie zur Auflösung der Gegensätze im Innern Ihrer Psyche.

  3. Deshalb bedeutet das Erlebnis des Selbst eine Niederlage des Ich (Carl Gustav Jung, Mysterium Coniunctionis).

Paradox, para-doxa, bedeutet «gegen das Meinen». Deshalb sind die Erkenntnisse nur gegen grosse Widerstände zu sehen und anzunehmen. Sie setzen das Opfer des Meinens, des Glaubens, des Wollens, des Müssens und des Handelns voraus. Das Opfer ist die Voraussetzung, um die Seele hören zu können.

Wilhelm Lehmbruck stellt in der Skulptur Grosse Sinnende, die auf dem Buchumschlag abgebildet ist, den Weg des Erkennens dar. Er führt nach innen, nach unten, über die Niederlage, das Scheitern zur Seele. In den Figuren Emporsteigender und Gestürzter stellt der Bildhauer auch diesen Zusammenhang überragend dar. Beide Skulpturen sind in Führung durch die Seele abgebildet und übersetzt.

In den Kompositionen von Arvo Pärt, De Profundis und Kyrie eleison, kann die Seele gehört werden, wenn die Voraussetzungen dazu erfüllt sind. Die Krönung ist das Magnificat. Diese Übersetzungen sind geläufig: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir; Herr, erbarme dich; Meine Seele erhebt den Herrn. Der Herr ist kyrios, der Herrscher, der Besitzer. Es ist der Herrscher, der nicht herrscht. Es ist der Besitzer, der nicht besitzt. Es ist die Seele. Es ist das System der Psyche, des Lebens. Der Schlüssel für das Verständnis ist die Analytisch-hermeneutische (Tiefen-)Psychologie. Es ist eine heilige, das heisst heilende Wissenschaft, Kunst und Religion, ohne jede Spaltung und Projektion.

 

Zur Liebe, zur Schönheit, zur Wahrheit, zum Leiden, zur Seele, zu Göttin/Gott/
Götter, zum Leben, zur Heilung, zum Frieden, zum Ziel finden – in sich selbst

 

Die Sehnsucht nach der Seele – der Liebe, der Schönheit, der Wahrheit und der Heilung – ist bei jedem Menschen gross. Und doch ist der Weg nur schwer zu finden. Der Grund dafür liegt in der Struktur der Psyche. Es ist die Struktur der Wahrnehmung und Entscheidung jedes Menschen. Es ist die Struktur des Erkennens. Sie ist in vier Teilsysteme unterteilt, die wir auch Intelligenzsysteme nennen. Sie verfolgen unterschiedliche Wünsche (Bedürfnisse/Motive/Ziele) und sind dafür mit unterschiedlichen Funktionen (Mitteln) ausgestattet. Die Wünsche sind kompetitiv, gegensätzlich und komplementär. Der Grund, weshalb es so schwierig ist, zur Seele zu finden, liegt in der Gegensätzlichkeit der Wünsche und Funktionen im System der Psyche. Drei der vier Intelligenzsysteme, die Instinktive, die Affektive und die Instrumentelle Intelligenz, sind aktiv und nach aussen gerichtet. Sie versuchen in der Aussenwelt, ihre Wünsche zu befriedigen. Sie meinen, glauben, müssen und tun, was sie wollen. Sie wollen kämpfen, siegen, expandieren, triumphieren, besitzen, konsumieren, kopulieren, geniessen (Instinktive Intelligenz). Sie wollen sich als Familie, Gruppe, Gemeinschaft organisieren; sie wollen Erfolg, Macht, Sicherheit und Familie haben (Affektive Intelligenz). Sie wollen Wissen und Können, Effizienz und Effektivität, Manipulation und Kontrolle haben (Instrumentelle Intelligenz). Sie sind partikulär (einzeln), relativ, vergänglich und austauschbar. Das vierte Intelligenzsystem, die Empathische Intelligenz, die wir auch Seele nennen, ist rezeptiv und nach innen gerichtet. Sie meint, glaubt, will, muss und handelt nicht. Sie empfängt die Informationen, die Wünsche und Funktionen, die sie ist, von/in sich selbst. Sie ist universell, absolut, ewig. Sie weiss das ganze Leben.

Der Wunsch und die Aufgabe Ihres Lebens ist es, diesen Gegensatz aufzulösen. Das erfordert von Ihnen:

  1. Das System der Psyche, des Lebens, präzise zu erkennen. Erkennen heisst unterscheiden. Es erfordert von Ihnen, zwischen Ihren Wünschen und Funktionen präzise unterscheiden zu können.

  2. Die Verletzung und Zerstörung der Wünsche und Funktionen Ihrer Seele durch die kompetitiven und gegensätzlichen Wünsche und Funktionen Ihrer Instinktiven, Affektiven und Instrumentellen Intelligenzsysteme zu erkennen. Sie dauert so lange an, wie die Letzteren in Ihrem Leben führen.

  3. Das Meinen, Glauben, Wollen, Müssen und Handeln Ihrer Intelligenzsysteme im Aktionsmodus für Ihre Seele zu opfern. Es bedeutet, Ihre Ressourcen von der Aktion auf die Rezeption umzuverteilen. Es ist der schmerzvolle Weg der Reinigung.

  4. Sich unter Führung Ihrer Seele den Wünschen und Funktionen Ihrer Instinktiven, Affektiven und Instrumentellen Intelligenzsysteme wieder zuzuwenden, um diese zu verwandeln. Die Metamorphose ist im Innern.

Der Weg des Erkennens führt Sie zur Auflösung des Mysteriums des Lebens. Es ist ein Geheimnis, weil es nicht von aussen, in der Aussenwelt, sondern von innen, in der Innenwelt Ihrer Psyche zu erkennen ist. Es ist ein Geheimnis, weil es nicht durch das Meinen, Glauben, Wollen, Müssen und Handeln, sondern durch das Empfangen zu erkennen ist. Es ist ein Geheimnis, weil Sie es unbewusst und automatisch nicht erkennen wollen und können. Sie wissen es besser und meinen, mit den Mitteln Ihrer Intelligenzsysteme im Aktionsmodus Ihre Ziele zu erreichen. Ihre Seele korrigiert dieses Wollen, Meinen und Können auf schmerzvolle Weise.

Die mythologischen Erzählungen aus allen Zeiten, Orten und Kulturen stellen den Weg des Erkennens sichtbar dar. Die Form, die Sprache ist partikulär. Der Inhalt ist universell. Wir übersetzen die Erzählungen von ihrer partikulären Form in ihren universellen Inhalt. Der Schlüssel ist die Analytisch-hermeneutische Psychologie. Diese Darstellungen dienen im Buch als Spiegel:

  • Gilgamesch − der in die Tiefe sieht;

  • Parsifal − der das Tal durchquert;

  • Lohengrin − der das Vertrauen in die Seele einfordert;

  • Amor und Psyche − die zum Eins-Sein, zum Ganz-Sein finden;

  • Die Göttliche Komödie − in der Dante den Weg bis zum Ziel geht;

  • Lea, Rahel, Jakob und Josef − der Entwicklungsweg der Psyche;

  • Utopia von Thomas Morus − die Politik der Seele;

  • Das verschleierte Bild zu Sais von Schiller − das Geheimnis des Lebens.

Das ist das Geheimnis, das von Ihnen aufzudecken ist: Die Begegnungen und Ereignisse, die Ihnen widerfahren, sind kein Zufall. Sie sind systembedingt. Sie laden Sie ein, die Gegensätze aufzulösen. Das ist nicht aktiv, sondern allein rezeptiv, nicht relativ, sondern nur absolut möglich.

 

Das Geheimnis des Lebens

 

Der Weg des Erkennens ist lang und leidvoll. Deshalb will ihn niemand gehen. Er führt zur Auflösung der Gegensätze im Innern Ihrer Psyche. Es sind die Gegensätze zwischen der Macht und der Ohnmacht, dem Herrschen und dem Dienen, der Aktion und der Rezeption, dem Meinen, Glauben, Hoffen, Bangen, Wollen, Müssen, Handeln und dem Empfangen, der Ignoranz, Verdrängung, Unterdrückung, Kompensation, Reduktion, Projektion, Fragmentierung, Abspaltung und dem Erkennen, der Unbewusstheit und der Bewusstheit, dem Hass und der Liebe, dem Hässlichen und dem Schönen, der Täuschung und der Wahrheit, der Betäubung und dem Ertragen des Leidens, der Härte und der Milde, der Grausamkeit und dem Erbarmen, der Angst und dem Vertrauen, der Verletzung und der Heilung, der Verzweiflung und dem Frieden, der Hybris und dem Opfer, dem Zufall und der Systemordnung, dem Aussen und dem Innen, dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, den Teilen und dem Ganzen, dem Partikulären und dem Universellen, dem Vergänglichen und dem Ewigen, dem Relativen und dem Absoluten, dem Banalen und dem Sakralen, der Zerstörung und der Erfüllung, dem Tod und dem Leben.

Deshalb bedeutet das Erlebnis des Selbst eine Niederlage des Ich (Carl Gustav Jung, Mysterium Coniunctionis). Das Erlebnis des Selbst ist die Erfüllung, das Sein des Ganzen Lebens. Die Niederlage des Ich ist das Opfer.

 

Die Hierarchie des Geistes

 
  1. Das Erkennen ist der Anfang und das Ende: das Erkennen des ganzen Systems des Lebens, der System-Gesetze, der Hindernisse und Widerstände und ihrer Auflösung.

  2. Die Umverteilung der Ressourcen von der Aktion auf die Rezeption, von aussen nach innen, vom Partikulären zum Universellen, Abstrakten.

  3. Die Verwandlung der destruktiven Wünsche und Funktionen der Intelligenzsysteme im Aktionsmodus: der Gewalt und des Zwangs, des Besitzes und Konsums, des Kampfs und Sieges, der Eitelkeit und Überheblichkeit, des Ehrgeizes und der Aggression, des Tauschens und Täuschens, der Missgunst und des Misstrauens, des Neides und der Eifersucht, der Wut und des Hasses, der Manipulation und Kontrolle, der teilnahmslosen Gleichgültigkeit.

  4. Das Verstehen der Träume als Darstellung des Systemzusammenhangs und der nicht zufälligen, sondern sinnhaften Konstellation der Ereignisse.

  5. Die Auflösung des Meinens, Glaubens, Wollens, Müssens und Handelns.

  6. Die Freiheit zum Opfer, teleios: die Freiheit zu re-lego, dem Wieder-Zusammensetzen-der-Teile-zum-Ganzen-System als Ergebnis des Erkennens.

  7. Die Auflösung der Gegensätze unter Führung der Seele: die Übereinstimmung des instinktiven, emotionalen und rationalen, analytischen Wahrnehmens und Entscheidens von aussen mit dem hermeneutischen Erkennen von innen.

  8. Die Gleichwertigkeit der ungleichen Menschen: Kein Mensch ist berechtigt, sich an anderen zu bereichern, sie zu beherrschen, zu benachteiligen, zu bedrohen, zu verdrängen, zu unterdrücken, zu täuschen, zu manipulieren und zu diesem Zweck zu kontrollieren.

  9. Die Ordnung der Familie als kleinster konstellierter Raum der Liebe, der Treue und des Vertrauens.

  10. Die Auflösung der Organisationssysteme der Macht: des Marktes – des Tauschens und des Täuschens, der Selbstbereicherung, des Überflusses, der Privilegien, des Besitzes – sowie anderer Organisationssysteme der Macht, wie Feudalismus, Faschismus, Kommunismus, Bürokratie, Technokratie – zuerst in sich selbst.

 

Führung durch die Seele

 

Der Weg des Erkennens. Zur Seele finden, ist der dritte Band in der Reihe Führung durch die Seele. Er erscheint im Frühjahr 2023. Der vorangehenden Bände sind: Bewusstheit. Die Erfüllung Ihres Lebens, 2013, sowie Führung durch die Seele. Von der Zerstörung zur Erfüllung, 2020. Die Reihe wird von der Stiftung unterstützt und von Jürg Theiler herausgegeben. Sie stellt die theoretischen Grundlagen dar, auf denen sich die Stiftung bewegt. Die Reihe erscheint im Verlag Edition Spuren, Winterthur. Die Bücher können beim Verlag, spuren.ch, und im Buchhandel bestellt werden.

 

 

Jürg Theiler, Dr. rer. pol.
Ökonom und Tiefenpsychologe

Jürg Theiler studierte Nationalökonomie an der Universität Freiburg, Schweiz. Er arbeitete als Manager, Strategischer Planer und Berater in den Bereichen Marketing und Kommunikation für namhafte internationale Unternehmen und Agenturen sowie als Forscher und Lehrer in der Wissenschaft. Nach einer neunjährigen Lehranalyse bei Barbara Davies, der wissenschaftlichen Mitarbeiterin von Marie-Louise von Franz, begann er mit der Entwicklung der Analytisch-hermeneutischen Psychologie. Sie verbindet das übereinstimmende Wissen aus der Analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung, Marie-Louise von Franz und anderen, der Humanistischen Psychologie, der Systemtheorie, der Mikro-, Neuro- und Entwicklungsbiologie, der Anthropologie, Zoologie, Ökonomie und Managementlehre, der Philologie und Philosophie, der Mythologie und der Religions- und Kunstgeschichte. Sie ist der Schlüssel zum Erkennen der universellen Psyche, des universellen Lebens, der Liebe, der Schönheit, der Wahrheit und des Leidens. Jürg Theiler ist Mitglied des Stiftungsrats.

 
 
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